Bleistifthaus-Baustelle
Kerstin Schulz • 17. September 2025
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Lerbach leuchtet: entlang des namensgebenden Gewässers machen an vier Wochenenden ab der Eröffnung des Bleistifthauses am 18. Oktober, zehn illuminierte Schlauchkonstruktionen auf Sehenswürdigkeiten und Eigenheiten des Ortes aufmerksam. Mehrere Lerbacher Vereine, Initiativen und Einzelpersonen haben sich für die Workshops angemeldet, bei denen die kunstvollen Objekte gefertigt werden und der Jugendraum Lerbach gehört zu den ersten Mitwirkenden. Für ihre Skulptur haben sich die jungen Leute etwas besonderes einfallen lassen: einen Ritter. Jeder (Lerbacher) kennt die Geschichte vom Ritter und seinem armen Pferd, die ihren Durst nicht stillen konnten, weil der Bach an dem Tag kein Wasser führte. Der enttäuschte Ausruf des Ritters über diesen Le(e)rbach gab dem Gewässer und dem Ort seinen Namen (so zumindest die Legende), so ist es auch auf dem Wappen der Gemeinde abgebildet und deshalb wollen die Jugendlichen, bzw. jungen Erwachsenen des Jugendraums Lerbach ihm ein zumindest temporäres Denkmal setzen. Unterhalb des Freilichtmuseums am offenen Bachlauf soll er stehen und sich freuen, weil: „Lerbach heißt Lerbach durch mich!“ So zumindest stellen sich das Pia (18) und Tiara (17) vor. Mit ihrer Arbeit hoffen die beiden, nicht nur auf die Geschichte Lerbachs aufmerksam zu machen, sondern auch neue Interessenten für den Jugendraum zu finden. Freitags alle zwei Wochen treffen sich die jungen Lerbacher und Lerbacherinnen in der ehemaligen Schule, kochen zusammen oder verbringen einfach so Zeit miteinander. Zum Beispiel mit einer Kunstaktion wie Lerbach leuchtet.

Einer geht immer noch. Auch nachdem unsere Workshop-Reihe am 10. März ihren vermeintlichen Abschluss gefunden hatte, stieg an diesem Wochenende noch ein Experiment der besonderen Art: Tanz im Bleistifthaus. Britta vom Osteroder Ballettstudio, das gerade sein 25-jähriges Bestehen feiert, war mit ihren Schülerinnen Fenja und Lisa nach Lerbach gekommen, um den Versuch zu wagen, tänzerisch Skulpturen in die Virtuelle Realität zu zaubern. Um es vorwegzunehmen: der Versuch gelang, wenn auch anders, als geplant. Entstanden war die Idee in einem der früheren Workshops, als eine Teilnehmerin spontan eine Yoga-Übung in der VR absolvierte. Was mit Yoga geht, klappt vielleicht auch mit Tanz, dachte Kerstin und lud das Ballettstudio Osterode ein, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen. Ein Vorschlag, der begeistert angenommen wurde. Vor dem Anpfiff erfolgte jedoch die Platzbegehung, Fußballer kennen das, das Geläuf wird auf Bespielbarkeit geprüft, dabei ist nicht nur der Einfluss auf die Performance entscheidend, sondern vor allem ein mögliches Verletzungsrisiko. „Ich bin vorher mit dem Headset in die VR gegangen“, sagt Britta, „und musste feststellen, dass wir das nicht riskieren können. Für einen Balletttanz ist der realphysische Raum schon sehr klein, aber der virtuelle bietet im Gegensatz dazu keine Orientierungspunkte für den Tanz. Darunter würde das Gleichgewicht leiden“.

In den vergangenen vier Monaten hat sich viel getan im Bleistifthaus von Lerbach. Mit Hilfe der verschiedenen Workshops konnte nicht nur die professionelle Verzahnung von virtueller und physischer Welt an diesem Ort perfektioniert werden, auch die lokale und regionale Vernetzung machte deutliche Fortschritte. Aus einem der Workshops ging sogar mit „Lerbach leuchtet“ ein weiteres Schwarmkunstprojekt hervor, das sich an Penvolution Realität+ anlehnen möchte. Mehr dazu hoffentlich bald auf dieser Seite. Es entwickelt sich also einiges im Bleistifthaus und in Lerbach, auch mit freundlicher Unterstützung von LEADER, der europäischen Initiative zur Entwicklung des ländlichen Raumes. Und weil es immer wieder aufschlussreich ist, wenn diejenigen, die über eine Förderung entscheiden, sich einmal anschauen, was vor Ort mit dem Geld auf die Beine gestellt wird, kamen zum Abschluss der Workshop-Reihe Mitglieder des LEADER-Regionalmanagements und der Lokalen [LEADER] Aktionsgruppe (LAG) Osterode am Harz ins Bleistifthaus.

Eine Schulstunde etwas anderer Art: an diesem Mittwoch verlegte die 11. Klasse des altehrwürdigen Tilman-Riemenschneider-Gymnasiums in Osterode ihren Kunstunterricht kurzerhand nach Lerbach ins Bleistifthaus. Hier übten sich die Schüler und Schülerinnen begeistert in zweifacher Hinsicht in bildender Kunst: traditionell handwerklich in der Bearbeitung und Verbauung von haptisch erfahrbaren Bleistiften und per Controller in der Konstruktion „raumgreifender“ virtueller Objekte. Diese doppelte Erfahrung machen zu können, fanden eigentlich alle „interessant“ bis „cool“ und Markus, Raja, Valeria und Jara konnten beiden Formen gleichviel abgewinnen. Insbesondere das virtuelle Bauen wurde von Manu, Linus, Malte, Mika und Willy geschätzt, während Jana, Hanne, Bineh und Lia das Handwerkliche präferierten. Auch Isabell hatte ihren Spaß am manuellen Bauen, fand jedoch das Bohren und Sägen deutlich anstrengender, als das lockere Platzieren virtueller Bleistifte. Nicht zuletzt die Arbeit in der Gruppe wurden von mehreren Schülern und Schülerinnen hervorgehoben. Gemeinsam an so einem Projekt arbeiten zu können, sei cool gewesen, meinte Jara. Zudem trafen die Elftklässler beim Bleistifthaus auch auf die Vorarbeiten der Künstlerin Kerstin Schulz und zahlreicher Schwarmkünstler, die bei diversen Sessions ihren Beitrag zum Werk geleistet hatten. Eine kollektive Kunstform wie die Schwarmkunst lenkt die Kreativität der Einzelnen notwendigerweise in bestimmte Bahnen (Bineh), schafft aber auch für viele überhaupt erst den Raum, um Kunst zu produzieren. Für Lia war es eine aufregende Erfahrung, hier auf den Vorarbeiten anderer aufbauen zu können und nicht erst bei Null anfangen zu müssen: „Dadurch kommt man auch auf ganz neue Ideen“. Einfach bleistifthaft eben.

Der Workshop an diesem Wochenende stand ganz im Zeichen der Nachbarschaft. Osterode, Ortsteil Lerbach: hier kennt man sich, mehr oder weniger, die Nachbarschaft ist ein überschaubarer Raum mit klaren, eher engen Grenzen, in dem man sich selbst verorten und damit eine verlässliche Basis schaffen kann, auch für die Erkundung scheinbar grenzenloser Welten.

Penvolution-Realität+ weckt offenbar bei vielen Teilnehmenden den kreativen Ehrgeiz, das hat auch der Workshop an diesem Wochenende wieder gezeigt. Sowohl die Arbeit mit den physisch-realen Bleistiften, als auch mit ihren digital-realen Gegenstücken animierte zu ambitionierten Entwürfen und neuen Ideen. Eine Reaktion, natürlich ganz im Sinne der Schwarmkunst, die ja in jedem Menschen kreative Potenziale sieht und einen niedrigschwelligen Zugang zu ihren Angeboten bieten und diese zur Entfaltung bringen möchte. Begabungen und Fähigkeiten zu entdecken und zu fördern, haben sich auch die Harz-Weser-Werke (HWW) zum Ziel gesetzt (wenn auch mehr mit Blick auf Arbeit und Qualifizierung). An diesem Wochenende trafen die verwandten Ansätze nun aufeinander, als sich eine kleine Delegation der HWW in Lerbach einfand. „Sehr interessant und spannend“ fand Felix, Heilerziehungspfleger bei den HWW, das „Crossover von digitaler und analoger Bauweise“. Er hatte nicht zum ersten Mal eine VR-Brille aufgesetzt und brauchte daher nicht viel Anlaufzeit, um digitale Häuser zu zimmern und Figuren zusammenzustellen.