20.Juli 23-Das Gute und das Andere

Uli Matthias • 21. Juli 2023

Das Gute und das Andere

Donnerstag auf dem Weißekreuzplatz. Einer dieser Tage, die einen zwingen, sich zu entscheiden. Kein grauer Tag, nichts Diffuses; Sonne und Wolken wechseln sich ab, die Temperatur oszilliert zwischen warm und kühl, entweder oder, positiv oder negativ.
Wir wollen positiv denken. Das Gute sehen. So wie Arthur. Der weiß was gut ist. Schwarmkunst zum Beispiel. Oder eine Wohnung zu haben. Er weiß es, weil er schon das Gegenteil kennengelernt hat. Das Schlechte, das Hoffnungslose. "Ganz unten" sei er gewesen, am Ende. Auch hier auf dem Platz. Verloren, auf sich gestellt. Obdachlos, alkoholabhängig. Zuviel Schmerz und zuviel Wodka, um ihn zu betäuben. Aber dann sei Ulla gekommen, sagt Arthur und strahlt.

Ja die Ulla. Sozialarbeiterin, Kunsttherapeutin. Hat sich schon mit einer Gruppe derzeitiger oder ehemaliger Wohnungsloser vor einem Jahr an Ob(D)Acht beteiligt und sammelt diesen Schwarmkunstsommer ihre Schäfchen auf dem Weg von der ZBS zum Weißekreuzplatz ein. Die Ulla habe ihn unterstützt, als es am schlechtesten um ihn stand, nach der Scheidung, als er sich verloren hat. Sagt Arthur.

Das war vor zehn Jahren. Der Absturz. Doch inzwischen hat er wieder eine eigene Wohnung und den Wodka braucht er nicht mehr, ist seit einem Jahr trocken. Wie er das geschafft hat? Dank Ulla. Arthur, der Deutschrusse aus Omsk, ist des Lobes voll über die Sozialarbeiterin, die heute von ihren jungen Kolleginnen Julia und Bettina begleitet wird. Alle sind engagiert beim Schlauchflechten, auch Arthur ist mit sichtlicher Begeisterung dabei. „Die eigene Kreativität auszuleben ist wichtig“, sagt Ulla, „besonders in einer Zeit nach dem Alkohol“. Kunst lenke ab, im positiven Sinn.



Positiv denkt auch Cissé. Der Bauarbeiter aus Mali ist seit vier Jahren in Deutschland und bemüht, sich gut zu integrieren. Bei der Schwarmkunst gelingt dies schon einmal ausgezeichnet. Für den großen Rest sei besonders die Sprache wichtig, sagt Cissé in gutem Deutsch. Ein Jahr sei er dafür zur Schule gegangen, für die bessere Integration. Um hier richtig anzukommen. Seine beiden Töchter, 12 und 17 Jahre alt, hat er in Mali gelassen. Ob er sie denn eines Tages zu sich holen möchte? „Oh nein, dort gehen sie in eine gute Schule, hier wären sie nur Ausländer, wie ihr Vater“, sagt Cissé und lächelt.


Die einen gehören eben dazu und die anderen – irgendwie nicht so ganz. Jedenfalls scheint das auf dem Weißekreuzplatz so zu sein. Hier stößt das entweder oder doch an seine Grenzen. Schließlich handelt es sich hier um einen öffentlichen Platz, der demnach auch der Öffentlichkeit – uns allen also – zugänglich sein sollte. In der Praxis ist das jedoch nicht so einfach. Rund zwei Drittel der Fläche werden von der Mondlandschaft der Baustelle beherrscht. Sind abgesperrt und unzugänglich. Das Areal soll nach erfolgtem Umbau dann auch nicht mehr allen, sondern nur bestimmten Nutzern für Sport und Spiel zur Verfügung stehen. Von der anderen Seite hat sich die kommerzielle Gastronomie ein großes Stück vom Platz einverleibt. Dort dürfen alle hin - wenn sie es sich leisten können. Und das sind leider bei weitem nicht alle.

Manche bleiben jetzt einfach weg. Still und leise. Es sind diejenigen, die ihre sozialen Kontakte, also das, was ein Leben erst lebenswert macht, vor allem hier auf dem Platz fanden. Vorher, als man für den Aufenthalt noch nicht bezahlen musste, hatten auch zahlreiche Bewohner eines nahen Pflegeheims ihren angestammten Ort. Für sie ist jetzt kein Platz mehr auf dem Platz. Und anderswo wahrscheinlich auch nicht. Der öffentliche Raum ist eine begehrte Ressource, doch in unserer Gesellschaft sind die Möglichkeiten, ihn zu nutzen, sehr ungleich verteilt. Vor allem: während einige nur dabei sein wollen, trachten andere danach, sich diesen Raum anzueignen. Ihn der Allgemeinheit zu entziehen. Zum eigenen Vorteil.


Deshalb stößt das Konzept für die Platzneugestaltung auch auf wenig Begeisterung bei jenen, die ihr gemeinsames Feierabendbier nur noch auf der Bankreihe unterm Laubengang trinken können. „Scheiße sei das“, sagt einer, der die Belebung selbst aber gar nicht schlecht findet. Jedenfalls in dem schmalen Bereich, auf dem sich die Schwarmkunst tummeln darf. Es sei doch schön, wenn jetzt auch mehr Eltern mit Kindern auf den Platz kämen. Berührungsängste haben offenbar andere.

Reiner würde sich auch freuen, wenn es hier mehr schöne Musik zu hören gäbe. Oder ein Public Viewing zur Fußball-WM oder -EM. Darin stimmen auch die anderen ein. Nach kurzem Nachdenken fügt er jedoch hinzu: „Aber nur, wenn es auch für Menschen mit wenig Geld zur Verfügung steht“. Man hat halt so seine Erfahrungen. Mit dem Anderen.



von Fotos von Schwärmern 20. Oktober 2025
von Uli Matthias 17. Oktober 2025
Wie in jedem Harzort, der etwas auf sich hält, ist das alljährliche Osterfeuer natürlich auch in Lerbach traditionell ein wichtiges Ereignis. Neu ist dieses Jahr, dass es nun auch im Herbst ein Osterfeuer gibt, wenn auch nur symbolisch. Trotz des schlechtesten Wetters entsteht ein leuchtendes Symbol für Zusammenhalt und Durchhaltevermögen. "Seit 60 Jahren brennt hier nicht nur das Osterfeuer-sondern auch die Freude am gemeinsamen Schaffen", erzählt Alexander Koch. Alles aus Schläuchen, versteht sich, allerdings auf einem Gerüst aus Aluminiumstangen. Rund vier Meter hoch und weithin sichtbar. Fast wie ein echtes Osterfeuer. Nur jetzt als Kunst und wiederverwendbar, bringt es Lerbach auch zur dunklen Jahreszeit zum Leuchten.
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Der Harzclub packt an. Auch im Dauerregen. „Das ist bei uns kein Thema“, sagt Vorsitzender Frank Koch, „da ist jeder bei der Sache“. Und so rückten sie dann an, zu fünft am Pochwerk in Lerbach, dieser originalgetreuen Nachbildung, die auf die Geschichte des Bergbaus in Lerbach und überhaupt im Harz verweist. Auf solche Sehenswürdigkeiten aufmerksam zu machen, gehört ja inzwischen zu den vornehmsten Aufgabe der Harzclubs, wie Koch erzählt. Diesmal jedoch waren sie nicht im Dienste des Tourismus, sondern der Kunst unterwegs und haben das Freiluftmuseum mit Wasser- und Lichtschläuchen markant akzentuiert. Ganz schön nass seien sie dabei schon geworden, berichtet Koch, aber anschließend habe man noch zusammen gegessen und getrunken. Und das sei doch das wichtigste.
von Kerstin Schulz 16. Oktober 2025
von Kerstin Schulz 16. Oktober 2025

V.

von Uli Matthias 15. Oktober 2025
Auch die Volksbank im Harz eG hat es sich nicht nehmen lassen, eine Abordnung zu Lerbach leuchtet zu entsenden. Auf freiwilliger Basis versteht sich. Und so schufen Clarissa, Elke und Andrea mit Begeisterung ein V. wie Volksbank, wie das neue Volksbank-Jubiläums-Logo. Immerhin blickt die Harzer Genossenschaftsbank auf 200 Jahre Geschichte zurück, eine stolze Historie, die in Lerbach begann; dort wo sich heute das Fitnessstudio befindet, lag einst die Keimzelle und letzte Lerbacher Filiale der Volksbank im Harz eG. Und ebendort scheint jetzt auch das V. am Bach auf, ein V., das sich auch ein Herbert Stencil nicht leuchtender hätte wünschen können.
von Uli Matthias 15. Oktober 2025
Einen „Unort“ möchte Familie Reinhardt bei „Lerbach leuchtet“ bespielen, einen Ort, der meist unbeachtet ist, der aber einlädt zum Innehalten und zum Hinhören, um die Geräusche des Wassers wahrzunehmen. In Gestalt von Mutter Angelika, Tochter Anna und Sohn Nick haben sie mit Begeisterung die Geräusche und Bewegungen des Wassers mit in Kreisen verschlungenen Wasserschläuchen eingefangen und in Linie transformiert. Wasserschläuche, die aus der Skulptur wieder ins Wasser hineinragen, als ob das Wasser aus ihnen wieder herausflösse. „Rausch“, so müsste die Installation heißen, meinte Nick. Und Angelika berichtet von den unterschiedlichen Geräuschen, die das Wasser macht, je nachdem, wo und wann man sich am Bach in Lerbach befindet. „Mal hört man ihn gar nicht, weil er unterirdisch verläuft, mal gluckst, sprudelt oder plätschert er, mal strömt er, mal rauscht er gar“, berichtet die Kunstlehrerin. Mit diesen Geräuschen sei sie aufgewachsen und darauf habe sie auch ihre Kinder immer wieder aufmerksam gemacht. Die Kindheit sei kein Zeitraum, bemerkte Jacques Brel einmal, sondern ein Ort. Mitunter auch ein Ort, der gluckst und sprudelt und rauscht. Man muss nur hinhören.
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Licht und Wasser sind die Grundlage des Lebens. Die Eigenschaften von Wasser, das natürliche Fließverhalten von in Wasser gelöster Tusche und die damit verbundenen Spuren und Formen, bilden die Grundlage der Videoinstallation. Zeichentusche, im Wasser der Schwerkraft folgend, breitet sich aus, Bewegungsspuren werden sichtbar als Videoprojektion auf den bespielten Flächen im Kirchenraum. Eine Dynamik entsprechend den Gesetzmäßigkeiten der Natur, sei es in Organismen, in der Pflanzenwelt, bei mikro- und makrokosmischen Prozessen oder in Lebenskreisläufen, bei denen Bewegung, Energie und Wachstum den Prozess der Formgebung bestimmen. Die Betrachtenden stehen vor der Projektion oder bewegen sich innerhalb der projizierten Flächen und werden Teil der immersiven Installation, ähnlich einzelner Wassertropfen als Teil eines großen Ganzen. Anne Nissen, Steffen König
von Uli Matthias 15. Oktober 2025
Eine Hommage an das Schwarmkunstereignis 2023 auf dem Weißekreuzplatz in Hannover und zugleich eine Ode an das vergangene Werk, an das menschliche Miteinander und das Miteinander von ungleichen Materialien und Formen. Entstanden durch die Hände vieler, und doch durch den kreativen Akt eines Einzelnen geprägt. Bei Nacht verwandelt sich das Zelt, wenn die Umgebung in die Dunkelheit zurückgetreten ist. Es wird zum Leuchtturm der Farben, ein pulsierendes Spiel aus Licht und Bewegung. Lange, geschwungene Linien, wie der Lerbach selbst, tanzen von der Kuppel zum Boden und ergießen sich über die Wiese. Das Licht im Dunkeln wird zum kreativen Impuls, zum Anstoß, die eigene Vorstellungskraft zu beflügeln. Hier trifft man nicht nur auf Freunde, sondern vielleicht auch auf Fremde, die sich im Rahmen einer Schwarmkunstaktion miteinander verbinden und so zu neuen Verbindungen und gemeinsamer Kreativität finden. Dieses Werk ist ein lebendiges, sich ständig veränderndes Experiment, das den Dialog mit dem Publikum sucht und Platz für neue Ideen und Interpretationen lässt. Es lädt ein, Normen zu hinterfragen, umzudenken und das Unbekannte zu umarmen. Ein Ort der Begegnung – sowohl mit anderen als auch mit der eigenen Fantasie.
von Uli Matthias 8. Oktober 2025
Schnell wie die Feuerwehr! Diesen Workshop-Teilnehmern war das Arbeitsmaterial Schlauch keineswegs fremd. Mit Feuereifer hat die Jugendfeuerwehr Lerbach eine Skulptur erstellt, die sich passenderweise aus Rettungsringen zusammensetzt. Fünf große, schwarze Schläuche, umwickelt von bunten Schläuchen und durchzogen von transparenten Leuchtschläuchen bilden das Werk, zusammengehalten von Original Feuerwehrschläuchen. Ein eingespieltes Team war da zugange. „Einige erwachsene Aktive haben die Kinder und Jugendlichen unterstützt, aber die waren auch so engagiert dabei“, erzählt Ilka Grobecker, seit 17 Jahren Jugendwartin der Feuerwehr, der sie selbst seit 40 Jahren angehört. Man merkt gleich, die Feuerwehr Lerbach feiert nicht umsonst gerade ihr 150-jähriges Jubiläum, hier ist Beständigkeit Trumpf. Das gleiche Entstehungsjahr, also 1875, weist auch das Feuerwehrhaus auf, hinter dem die Skulptur im Schatten der Kaisereiche platziert wird. „Die Jugendlichen sind schon ganz gespannt auf den Start der Aktion ‚Lerbach leuchtet‘ und auf die anderen Beiträge“, sagt Grobecker. Der Blogger schließt sich da gern an.