15.August - Dreiklassenrecht auf Platz?

Uli Matthias • 19. August 2023

Dreiklassenrecht auf Platz?

Am Donnerstag war auch die Polizei vor Ort und zwar im Einsatz für die Kunst. Man habe schon früh Interesse gezeigt, sich hier einzubringen, erklärt der uniformierte Schwarmkünstler Gordon von der Polizeiinspektion Welfenplatz, und heute sei es eben soweit. Seine mitschwärmenden Kollegen und Kolleginnen kommen vom gleichen Revier, auch wenn Revier ein veralteter Begriff sei, wie der Blogger aus berufenem Munde erfährt.

Es ist ein freiwilliger Einsatz, darauf legen sie Wert. Der Weißekreuzplatz gehöre schließlich zum Gebiet ihrer Inspektion. „Es war uns wichtig, im Stadtteil Präsenz zu zeigen und mit den Leuten hier ins Gespräch zu kommen“, sagt Gordon, „auch mit denen, die uns vielleicht sonst eher skeptisch betrachten“.

Deshalb war der Wochentag auch nicht ganz zufällig gewählt, denn der Donnerstag hat sich als Workshop-Termin für die Wohnungslosenhilfe der Diakonie etabliert. Deren Klientel sucht normalerweise nicht unbedingt die Nähe zur Polizei, eine gute Gelegenheit also, um Vorbehalte und Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen, wie auch die Sozialarbeiterin Julia bestätigte. Im Rahmen der Kunst funktionierte die Annäherung auf jeden Fall schon einmal sehr gut und Arthur, der nicht zum ersten Mal dabei ist, lobte den Einsatz der Polizisten und Polizistinnen. Aber auch die „Randgruppe“ vom Weißkreuzplatz, deren Angehörige auf den Bänken am Platzrand gern ihr Feierabendbier trinken, kannte keine Berührungsängste, wie auch die Bilder zeigen.


Am Abend dann die Expertenrunde mit hochkarätiger Besetzung. Neben Hannovers Ordnungsdezernent Axel von der Ohe waren der Leiter des Polizeidezernats Prävention Markus Häckl, Asphalt Redaktionsleiter Volker Macke, Jamal Keller von der ZBS und Max als Vertreter der inkriminierten Randgruppe des Platzes der Einladung des Schwarmkunst Vereins gefolgt. Moderator Lars formulierte die Ausgangsfrage: wer darf wie den Platz nutzen? Sei das Modell der griechischen Agora nicht auch für den Weißekreuzplatz das anzustrebende Ideal oder gar der schnell zu verwirklichende Sollzustand?




Ein Ideal, das vermutlich nicht einmal in der Vorbildpolis Athen realisiert worden sei, wie Axel von der Ohe anmerkte. Also von wegen die Agora als Platz für alle, es habe dort mehr Ausgeschlossene als Inkludierte gegeben. Es sei auch nicht das Ziel, jemanden auszuschließen, aber es habe hier eine Disbalance geherrscht, die es zu beheben gelte.


Keine Vertreibung sagt die Stadt, das habe auch Sozialdezernentin Sylvia Bruns gegenüber Asphalt bekräftigt, weiß Volker Macke zu berichten, allerdings nur für den Weißekreuzplatz, nicht für die angrenzenden Rasch- und Andreas Hermes Platz. Überdies würden derartige Versicherungen in Hannover schnell in Vergessenheit geraten.


Keiner hat die Absicht eine Vertreibung durchzuführen und nicht nur Karin Powser fühlt sich dabei an Walter Ulbricht erinnert. Tatsächlich möchte die Stadt auf dem Platz ja die Nutzergruppen "sortieren und ordnen", wie von der Ohe bemerkte, also mehr Raum für die einen schaffen und weniger für die anderen lassen.


Zu diesen anderen zählt Max. Vor viereinhalb Jahren sei er nach Hannover auf den Weißekreuzplatz gekommen und habe hier als Obdachloser gelebt. Sein Glück sei der Super-Sozialarbeiter gewesen, der ihn und andere in Wohnungen gebracht habe. Seitdem träfen sie sich weiterhin hier auf dem Platz und ein Bier gehöre einfach dazu. Doch dieser Platz, jedenfalls der Teil, der ihnen und anderen Nutzern zur Verfügung stünde, schrumpfe ziemlich zusammen. Bald bliebe nicht mehr viel übrig, hier vorn die kommerzielle Gastronomie, da hinten der neue Spielplatz, in dessen Umfeld ja auch kein Alkohol getrunken werden dürfe. Was übrigens mit Blick auf die Kinder auch gut so sei.




Aber allein durch die Gastronomie habe die Vertreibung bereits eingesetzt. Den Alten vom nahen Seniorenheim, die sich regelmäßig hier aufgehalten hätten, habe man die Bänke genommen und die kommerziellen Angebote könnten die nicht bezahlen.


Solche "Wechsel" werde es weiter geben, bestätigte von der Ohe, aber wer sich an die Regeln halte, dürfe auch nicht "aktiv" vertrieben werden. Regeln also. Die maßgeblichen Regeln werden in Deutschland von Parlamenten erlassen und zwar in Form von Gesetzen. Wer die nicht befolgt, macht sich strafbar und wird ein Fall für die Polizei (und später für die Gerichte).


Fragen wir also die Polizei: ein Kriminalitäts-Hotspot sei der Weißekreuzplatz keinesfalls, sagt Markus Häckl, aber es gebe auch so etwas wie gefühlte Sicherheit. "Ich fühle mich unsicher, wenn ich das Verhalten des anderen nicht verstehe oder es gar als bedrohlich empfinde". Dem könne man aber begegnen, indem man in Austausch miteinander käme, um sich kennenzulernen. Deshalb sei das hier - und vermutlich meinte er nicht nur die Runde, sondern das ganze Schwarmkunstprojekt - auch ausgesprochen positiv. Wegen des Austauschs.


Drogensüchtige aber überschritten die Regeln und das dürfe man nicht hinnehmen, sagte von der Ohe. Nun seien Obdachlose aber nicht mit Drogensüchtigen gleichzusetzen, warf Jamal Keller wortreich ein. Und überhaupt gebe es doch auf dem Platz nicht mehr Straftaten als anderswo, wurde in der Diskussion rekapituliert, man halte sich doch hier an die Regeln.


Doch das genügt offenbar nicht. Nicht für die Randgruppen. Die müssten auch Verantwortung für den Platz übernehmen, präzisierte von der Ohe die Ansprüche an diese Menschen, die sich die kommerziellen Angebote nicht leisten können. Verantwortung zum Beispiel für das öffentliche Klo auf dem Platz, das ja, wie man wüsste, in einem beklagenswerten Zustand sei.


Leider wurden diese seltsamen Bedingungen für die Teilnahme am öffentlichen Leben und den Aufenthalt im öffentlichen Raum auf der Veranstaltung nicht mehr weiter thematisiert. So blieb dieses Modell eines Dreiklassen-Zugangs für die bahnhofsnahen Plätze im (öffentlichen) Raum stehen: vom Raschplatz werden Drogenabhängige und sonstige Regelbrecher ebenso aktiv vertrieben wie die Obdachlosen. Diese bilden dann wohl die unterste Klasse. Einige von denen ziehen weiter zum Weißekreuzplatz und besudeln das dortige Klo, wohl nicht zuletzt, weil es dort seit Jahren kein Klopapier gibt (wie Max erzählt). Dieses Klo muss dann offenbar die "Randgruppe" (Klasse 2) säubern, bevor sie das Recht erhält, sich weiter auf dem Platz aufzuhalten (ohne die teuren Angebote des kommerziellen Biergartens zu nutzen. Anschließend werden sie höchstens passiv vertrieben). Klasse eins müssen dann die besser situierten Bürger sein, die hier bald sehr viel PLATZ für sich allein haben werden.

von Fotos von Schwärmern 20. Oktober 2025
von Uli Matthias 17. Oktober 2025
Wie in jedem Harzort, der etwas auf sich hält, ist das alljährliche Osterfeuer natürlich auch in Lerbach traditionell ein wichtiges Ereignis. Neu ist dieses Jahr, dass es nun auch im Herbst ein Osterfeuer gibt, wenn auch nur symbolisch. Trotz des schlechtesten Wetters entsteht ein leuchtendes Symbol für Zusammenhalt und Durchhaltevermögen. "Seit 60 Jahren brennt hier nicht nur das Osterfeuer-sondern auch die Freude am gemeinsamen Schaffen", erzählt Alexander Koch. Alles aus Schläuchen, versteht sich, allerdings auf einem Gerüst aus Aluminiumstangen. Rund vier Meter hoch und weithin sichtbar. Fast wie ein echtes Osterfeuer. Nur jetzt als Kunst und wiederverwendbar, bringt es Lerbach auch zur dunklen Jahreszeit zum Leuchten.
von Uli Matthias 17. Oktober 2025
Der Harzclub packt an. Auch im Dauerregen. „Das ist bei uns kein Thema“, sagt Vorsitzender Frank Koch, „da ist jeder bei der Sache“. Und so rückten sie dann an, zu fünft am Pochwerk in Lerbach, dieser originalgetreuen Nachbildung, die auf die Geschichte des Bergbaus in Lerbach und überhaupt im Harz verweist. Auf solche Sehenswürdigkeiten aufmerksam zu machen, gehört ja inzwischen zu den vornehmsten Aufgabe der Harzclubs, wie Koch erzählt. Diesmal jedoch waren sie nicht im Dienste des Tourismus, sondern der Kunst unterwegs und haben das Freiluftmuseum mit Wasser- und Lichtschläuchen markant akzentuiert. Ganz schön nass seien sie dabei schon geworden, berichtet Koch, aber anschließend habe man noch zusammen gegessen und getrunken. Und das sei doch das wichtigste.
von Kerstin Schulz 16. Oktober 2025
von Kerstin Schulz 16. Oktober 2025

V.

von Uli Matthias 15. Oktober 2025
Auch die Volksbank im Harz eG hat es sich nicht nehmen lassen, eine Abordnung zu Lerbach leuchtet zu entsenden. Auf freiwilliger Basis versteht sich. Und so schufen Clarissa, Elke und Andrea mit Begeisterung ein V. wie Volksbank, wie das neue Volksbank-Jubiläums-Logo. Immerhin blickt die Harzer Genossenschaftsbank auf 200 Jahre Geschichte zurück, eine stolze Historie, die in Lerbach begann; dort wo sich heute das Fitnessstudio befindet, lag einst die Keimzelle und letzte Lerbacher Filiale der Volksbank im Harz eG. Und ebendort scheint jetzt auch das V. am Bach auf, ein V., das sich auch ein Herbert Stencil nicht leuchtender hätte wünschen können.
von Uli Matthias 15. Oktober 2025
Einen „Unort“ möchte Familie Reinhardt bei „Lerbach leuchtet“ bespielen, einen Ort, der meist unbeachtet ist, der aber einlädt zum Innehalten und zum Hinhören, um die Geräusche des Wassers wahrzunehmen. In Gestalt von Mutter Angelika, Tochter Anna und Sohn Nick haben sie mit Begeisterung die Geräusche und Bewegungen des Wassers mit in Kreisen verschlungenen Wasserschläuchen eingefangen und in Linie transformiert. Wasserschläuche, die aus der Skulptur wieder ins Wasser hineinragen, als ob das Wasser aus ihnen wieder herausflösse. „Rausch“, so müsste die Installation heißen, meinte Nick. Und Angelika berichtet von den unterschiedlichen Geräuschen, die das Wasser macht, je nachdem, wo und wann man sich am Bach in Lerbach befindet. „Mal hört man ihn gar nicht, weil er unterirdisch verläuft, mal gluckst, sprudelt oder plätschert er, mal strömt er, mal rauscht er gar“, berichtet die Kunstlehrerin. Mit diesen Geräuschen sei sie aufgewachsen und darauf habe sie auch ihre Kinder immer wieder aufmerksam gemacht. Die Kindheit sei kein Zeitraum, bemerkte Jacques Brel einmal, sondern ein Ort. Mitunter auch ein Ort, der gluckst und sprudelt und rauscht. Man muss nur hinhören.
von Uli Matthias 15. Oktober 2025
Licht und Wasser sind die Grundlage des Lebens. Die Eigenschaften von Wasser, das natürliche Fließverhalten von in Wasser gelöster Tusche und die damit verbundenen Spuren und Formen, bilden die Grundlage der Videoinstallation. Zeichentusche, im Wasser der Schwerkraft folgend, breitet sich aus, Bewegungsspuren werden sichtbar als Videoprojektion auf den bespielten Flächen im Kirchenraum. Eine Dynamik entsprechend den Gesetzmäßigkeiten der Natur, sei es in Organismen, in der Pflanzenwelt, bei mikro- und makrokosmischen Prozessen oder in Lebenskreisläufen, bei denen Bewegung, Energie und Wachstum den Prozess der Formgebung bestimmen. Die Betrachtenden stehen vor der Projektion oder bewegen sich innerhalb der projizierten Flächen und werden Teil der immersiven Installation, ähnlich einzelner Wassertropfen als Teil eines großen Ganzen. Anne Nissen, Steffen König
von Uli Matthias 15. Oktober 2025
Eine Hommage an das Schwarmkunstereignis 2023 auf dem Weißekreuzplatz in Hannover und zugleich eine Ode an das vergangene Werk, an das menschliche Miteinander und das Miteinander von ungleichen Materialien und Formen. Entstanden durch die Hände vieler, und doch durch den kreativen Akt eines Einzelnen geprägt. Bei Nacht verwandelt sich das Zelt, wenn die Umgebung in die Dunkelheit zurückgetreten ist. Es wird zum Leuchtturm der Farben, ein pulsierendes Spiel aus Licht und Bewegung. Lange, geschwungene Linien, wie der Lerbach selbst, tanzen von der Kuppel zum Boden und ergießen sich über die Wiese. Das Licht im Dunkeln wird zum kreativen Impuls, zum Anstoß, die eigene Vorstellungskraft zu beflügeln. Hier trifft man nicht nur auf Freunde, sondern vielleicht auch auf Fremde, die sich im Rahmen einer Schwarmkunstaktion miteinander verbinden und so zu neuen Verbindungen und gemeinsamer Kreativität finden. Dieses Werk ist ein lebendiges, sich ständig veränderndes Experiment, das den Dialog mit dem Publikum sucht und Platz für neue Ideen und Interpretationen lässt. Es lädt ein, Normen zu hinterfragen, umzudenken und das Unbekannte zu umarmen. Ein Ort der Begegnung – sowohl mit anderen als auch mit der eigenen Fantasie.
von Uli Matthias 8. Oktober 2025
Schnell wie die Feuerwehr! Diesen Workshop-Teilnehmern war das Arbeitsmaterial Schlauch keineswegs fremd. Mit Feuereifer hat die Jugendfeuerwehr Lerbach eine Skulptur erstellt, die sich passenderweise aus Rettungsringen zusammensetzt. Fünf große, schwarze Schläuche, umwickelt von bunten Schläuchen und durchzogen von transparenten Leuchtschläuchen bilden das Werk, zusammengehalten von Original Feuerwehrschläuchen. Ein eingespieltes Team war da zugange. „Einige erwachsene Aktive haben die Kinder und Jugendlichen unterstützt, aber die waren auch so engagiert dabei“, erzählt Ilka Grobecker, seit 17 Jahren Jugendwartin der Feuerwehr, der sie selbst seit 40 Jahren angehört. Man merkt gleich, die Feuerwehr Lerbach feiert nicht umsonst gerade ihr 150-jähriges Jubiläum, hier ist Beständigkeit Trumpf. Das gleiche Entstehungsjahr, also 1875, weist auch das Feuerwehrhaus auf, hinter dem die Skulptur im Schatten der Kaisereiche platziert wird. „Die Jugendlichen sind schon ganz gespannt auf den Start der Aktion ‚Lerbach leuchtet‘ und auf die anderen Beiträge“, sagt Grobecker. Der Blogger schließt sich da gern an.